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Unternehmensgeschichte

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Unternehmensgeschichte

Einleitung 

Dass Unternehmen ganz wesentlich die Entwicklung moderner Gesellschaften prägen, ist unübersehbar. Die wissenschaftliche Unternehmensgeschichte blieb hierzulande trotzdem lange das Arbeitsfeld einiger Spezialisten, die meist aus der Wirtschaftsgeschichte kamen. Seit einigen Jahren gehört sie jedoch zu den besonders schnell wachsenden „Bindestrich-Geschichten“, über deren theoretische Zugänge, methodische Zugriffe und inhaltliche Ziele lebhaft diskutiert wird. Dies resultiert aus dem Zusammentreffen zweier Trends: Zum einen sind seit geraumer Zeit, angeregt unter anderem durch die angelsächsische Business History, eine Verselbständigung der historischen Subdisziplin Unternehmensgeschichte und ein verstärktes Interesse an ihrer Einbindung in internationale Forschungszusammenhänge festzustellen. Zum anderen erhielt die Produktion von Unternehmensgeschichten, vor allem aber deren mediale Wahrnehmung, durch die Erforschung diverser Großunternehmen in der NS-Zeit, die sich auch außerwissenschaftlichen Anstößen verdankte, einen deutlichen Schub.

 
Diese Sonderkonjunktur, die allmählich zu Ende geht, ist wiederum für einen Teil der fachwissenschaftlichen Diskussion verantwortlich. Dabei geht es nicht primär um die Problematik unternehmensfinanzierter Auftragsforschung, denn die wissenschaftliche Integrität gerade der größeren derartigen Projekte, die von international renommierten Fachbeiräten begleitet wurden, steht außer Frage. Ein ernst zu nehmender fachlicher Diskussionspunkt ergibt sich vielmehr daraus, dass diese Studien in der Regel die unternehmerischen Handlungsspielräume im politischen Umfeld und die Beteiligung von Unternehmern an den nationalsozialistischen Verbrechen in den Vordergrund stellen. Diese Konzentration auf die „politische und moralische Ökonomie unternehmerischen Handelns“ (Gerald D. Feldman) schafft zwar Verbindungslinien zur allgemeinen Zeitgeschichte. Sie entspricht aber nicht unbedingt der Forderung von Unternehmenshistorikern, die Forschung auf den „ökonomischen Kern“ oder die spezifische „ökonomische Logik“ von Unternehmen zu fokussieren – mithin das Unternehmen als eigenständiges Forschungsobjekt ernst zu nehmen und nach adäquaten Analysekriterien zu suchen, die auch über die spezielle historische Situation der NS-Diktatur hinaus tragfähig sind.
 
Dieser wissenschaftliche Anspruch, Unternehmen als Organisationen zu untersuchen, die bei aller gesellschaftlichen Einbindung doch spezifischen Zwecken dienen und spezifischen Regeln unterliegen, ist – in sehr verschiedenen Varianten – eine der beiden historischen Wurzeln der Disziplin Unternehmensgeschichte. Die andere Traditionslinie ist die der Unternehmens- (häufig eher Unternehmer-) Festschrift. Kommerzielle Festschriften, denen es keineswegs an sachlichem Gehalt fehlen muss, machen einen ganz erheblichen Teil der Fachliteratur aus, und dies wird auch so bleiben. Von der intensiven Debatte über die Ertragskraft unterschiedlicher theoriegeleiteter Forschungsansätze wird dieses Genre allerdings eher am Rande beeinflusst.
 
Die wohl prominenteste Stellung in der theoretischen Diskussion nimmt derzeit die Neue Institutionenökonomik ein, die in mancher Hinsicht realitätsnähere Analysemodelle bereitstellt als die neoklassische Gleichgewichtslehre oder die historisch weitgehend desinteressierte Betriebswirtschaftslehre. Die ökonomische Modellierung von Unternehmen als Sets von vertraglich geregelten Eigentums- und Verfügungsrechten zur Senkung von Transaktionskosten und zur Bewältigung von asymmetrischer Informationsverteilung stellt freilich für sich genommen nur einen statischen und generalisierenden Analyserahmen zur Verfügung, kann also die historische Entwicklung der untersuchten Unternehmen nicht eigenständig erklären. Doch sind die Modellannahmen der Neuen Institutionenökonomik insbesondere für kulturhistorische Erweiterungen, die nach Regeln und Funktionen von Unternehmenskultur oder Unternehmenskommunikation fragen, durchaus anschlussfähig.
 
Ein weiterer Vorzug des generalisierenden und akteursbezogenen Instrumentariums der Neuen Institutionenökonomik besteht darin, dass damit prinzipielle Ähnlichkeiten in der Struktur und Funktionsweise von marktorientierten Unternehmen und „Betrieben“ in Zentralplanwirtschaften aufgedeckt, also systemübergreifende vergleichende Untersuchungen vorgenommen werden können. Die erheblichen Unterschiede zwischen Unternehmen und Betrieben dürfen dabei allerdings nicht ausgeblendet werden; sie kommen im unterschiedlichen Stellenwert von Ideologie und politisch-staatlicher Macht, im Verhältnis von staatlichen zu privaten Eigentums- und Verfügungsrechten, im Grad der Vertragsfreiheit und in vielem anderen mehr zum Ausdruck. Anknüpfungspunkte bietet die Neue Institutionenökonomik außerdem zum soziologisch inspirierten Ansatz der Mikropolitik, der vor allem auf die Aushandlung von divergierenden Interessen innerhalb des Unternehmens abzielt. Eine wichtige Rolle bei den theoretisch fundierten Zugängen zur Unternehmensgeschichte spielen derzeit außerdem die systematische Untersuchung unternehmerischer Netzwerke und die Analyse der „Corporate Governance“, also der Lenkungs- und Kontrollstrukturen von Unternehmen. Eine weitere Perspektive eröffnet die organisationssoziologisch begründete Forderung, die Geschichte von Unternehmen als „organisierte Entscheidungssequenzen“ (Werner Plumpe) zu untersuchen.
 
Tragfähigkeit und Kombinierbarkeit der verschiedenen abstrakten Überlegungen sind letztlich nur in der empirischen Praxis zu klären. Die zunehmende Ausdifferenzierung der Ansätze und Positionen hat nicht zuletzt damit zu tun, dass der Untersuchungsgegenstand selbst sich in den letzten Jahrzehnten drastisch verändert hat: Schlagworte wie „Tertiarisierung“, „Ende der Industriegesellschaft“, „Dritte Industrielle Revolution“, „Post-Fordismus“, „Globalisierung“ oder „Wissensgesellschaft“ deuten einen grundlegenden sozioökonomischen Strukturwandel und damit verbundenen gesellschaftlichen Wertewandel an, der sich natürlich auch in Unternehmen niederschlägt – und insbesondere von Unternehmen vorangetrieben wird, was die wirtschaftshistorisch weitgehend abstinente Zeitgeschichte bisher leider nur ungenügend reflektiert. Gerade die verstärkt international agierenden Unternehmen und ihre Führungskräfte sind ein interessanter Gegenstand für die empirische Umsetzung und Überprüfung zeithistorischer und soziologischer Konzepte wie „Transnationalität“ oder „reflexive Modernisierung“. Die unternehmenshistorische Forschung selbst löst sich allmählich von der Konzentration auf jene großen, zentral gelenkten Industrie- und Finanzunternehmen, die seit dem 19. Jahrhundert das Bild moderner Industriegesellschaften mitprägten und deren Geschichte lange als geradezu zwangsläufig erfolgreicher Entwicklungspfad erschien. Darstellungen solcher Großunternehmen prägen zwar nach wie vor die Publikationslandschaft, doch zeigt sich mittlerweile ein deutlich wachsendes Interesse an der Untersuchung mittelständischer Unternehmen, der Medienwirtschaft, der Software- und Informationstechnologiebranche oder des Non-Profit-Sektors.
 
Wie auch immer sich die Unternehmens- und in der Folge auch die Forschungslandschaft verändern mag: Unternehmensgeschichte ist nicht nur ein Thema für hoch spezialisierte Unternehmenshistoriker. Es gibt vielleicht kein zweites Arbeitsfeld, das sich derart für theoriegeleitete und interdisziplinäre Forschung eignet. Offensichtlich ist der enge Bezug zur Wirtschafts- und zur Technikgeschichte, wo zumal im klassischen Festschriftengenre die Grenzen fließend sind. Die Untersuchung von Unternehmen als sozialhistorische Fallbeispiele ist insbesondere in der Arbeiter- und Angestelltengeschichte seit langem geläufig, hat allerdings mit dem Konzept von „Unternehmensgeschichte als Gesellschaftsgeschichte“ (Hartmut Berghoff) in den letzten Jahren eine Neubelebung erfahren, bei der auch politische und kulturelle Dimensionen berücksichtigt werden. In jüngerer Zeit haben Studien zu Unternehmern als Angehörigen der Wirtschaftseliten, die unmittelbar an die Bürgertumsforschung für das 19. und 20. Jahrhundert anschließen können, ebenso zugenommen, wie die geschlechtergeschichtliche Perspektive an Bedeutung zu gewinnen scheint. Noch in den Anfängen befindet sich, jedenfalls was die Zeitgeschichte angeht, der unternehmenshistorische Zugang zur Umweltgeschichte.
 
Bei aller Vielfalt des Themenfelds darf allerdings nicht in Vergessenheit geraten, dass das Forschungsobjekt spezifischen Rationalitätskriterien folgt. Auch das Unternehmen als Ort kultureller Sinnstiftung oder als politischer Faktor bleibt immer ein Unternehmen, das heißt: eine soziale Organisation, die als primäres Ziel die Sicherung der eigenen Existenz durch die (mittelfristige) Erzielung von Gewinnen auf Märkten betreibt. Die Vorstellung von Institutionen und Internetressourcen auf den folgenden Seiten legt den Schwerpunkt auf die deutsche Forschungslandschaft zu diesem Phänomen, bemüht sich aber ansatzweise auch um deren internationales Umfeld.
 

Autoren

Dr. Ralf Ahrens, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Historisches Institut
Dr. Friederike Sattler, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
 
Stand: März 2007

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