Von
Peer Pasternack, Daniel Watermann
Institut für Hochschulforschung Wittenberg (HoF)
Im Internetzeitalter hat jede Institution, die etwas auf sich hält, eine eigene Website. Wer keine hat, existiert in der allgemeinen öffentlichen Wahrnehmung im Grunde nicht – bzw. hat nicht existiert. Die Universität Wittenberg gibt es seit 1817 nicht mehr, und folglich gab es sie bisher virtuell nicht. Das marginalisierte sie, trotz ihrer historischen Bedeutung, im kulturellen Gedächtnis. Um dem abzuhelfen, wurde die LEUCOREA nun online gebracht.
Die Wittenberger Universität LEUCOREA war 1502 gegründet und 1817 qua Vereinigung mit der Universität Halle (gegr. 1694) aufgehoben worden. In den Jahren ihrer Existenz hatte die LEUCOREA ein bewegtes Leben absolviert. Sie war von 1520 bis 1580 und 1605 bis 1615 die am meisten frequentierte deutsche Universität, durchlebte im 17. und 18. Jahrhundert Erfolgs- wie Abschwungphasen und war um die Jahrhundertwende 1800 wieder auf einem Weg der inneren und äußeren Konsolidierung. Infolge der napoleonischen Besetzung Wittenbergs stellte die Universität ihren Betrieb 1813 faktisch ein. Die Vereinigung mit Halle 1817 dann ließ die LEUCOREA zu einem Teil des sogenannten großen Universitätssterbens um 1800 werden.
Die Website ist ähnlich aufgebaut, wie es die Online-Präsenzen heute bestehender Universitäten sind. Es wird mithin die Situation simuliert, als hätte es 1817 bereits das Internet gegeben. Dabei kann nun aber auf die inzwischen reichhaltigen Bemühungen zurückgegriffen werden, historische Quellen und historiografische Literatur digital verfügbar zu machen: Für diese, soweit sie die LEUCOREA betreffen, ist die Website als Knotenpunkt konzipiert, der zu den digitalisierten Beständen hinführt. Insgesamt führt die Website zu über 850 Volltextdateien: digitalisierten Originalquellen, Forschungsliteratur und populären Darstellungen. Anhand dieser können die 300 Jahre Universitätsentwicklung vertieft werden (und zudem die reichlich 200 Jahre nach der Universität). Auch zu 37 Einzelbeständen in Archiven – diese häufig bereits gleichfalls digitalisiert – wird verlinkt.
Angesichts der Überfülle an Material und Materialaufbereitungen, nicht zuletzt auch in digitalisierter Form, war es im Falle der Wittenberger Universität problemlos möglich, zu einer aussagekräftigen und materialgesättigten Website zu gelangen, ohne dass man zuvor gesonderte Forschung hätte durchführen müssen. Die angestrebte Aussagekraft wurde zunächst über folgende Kriterien operationalisiert: Informationsdichte, Forschungsbasierung, Geschlossenheit der zeitlichen Erzählung, Übersichtlichkeit und nutzerorientierte Usability, Erfahrbarkeit des Zeitkolorits und zumindest in Teilen auch Unterhaltsamkeit. Nicht jeder Text soll jedes Kriterium erfüllen, aber dazu beitragen, dass die Website insgesamt diese erfüllt.
Die Website soll zwei Hauptfunktionen erfüllen: Sie soll sortiertes Archiv und digitales Lesebuch sein. Dahinter stand die Überlegung, dass es zwei zu unterscheidende Interessen an der Geschichte einer Universität gibt: einerseits das Interesse von Forschenden an historischen Quellen und vorhandener Forschungsliteratur, andererseits das Interesse einer interessierten Öffentlichkeit an ‚Geschichten‘ aus der Universitätsgeschichte. Beide Interessen sollten gemeinsam bedient werden. Die doppelte Funktionalität wurde deshalb wie folgt bestimmt:
Als sortiertes Archiv liefert die Website Orientierung in den Quellen- und Textbeständen, die es aus der und über die Wittenberger Universität gibt. Diese Bestände zeichnen sich nicht nur durch Überfülle, sondern auch beträchtliche Unüberschaubarkeit aus. Insbesondere sind die Quellen geografisch breit verteilt – eine Spezifik, die sich im Wittenberger Fall aus der Universitätsgeschichte selbst, ihrer Einbettung in eine von kriegsbedingten Brüchen gekennzeichnete Umfeldgeschichte (Schmalkaldischer, Dreißigjähriger und Siebenjähriger Krieg, Napoleonische Besetzungen) sowie konkurrierenden Interessen bezüglich der Überlieferung nach der Universitätsauflösung ergab. Das Ziel muss es also sein, Überschaubarkeit herzustellen. Gegliedert werden die Materialien dabei sowohl nach Personen als auch sachthematisch. So werden Sichtachsen durch die Überfülle des Materials geschlagen.
Als digitales Lesebuch kann die Website genutzt werden, um sich schmökernd in die drei Jahrhunderte der LEUCOREA und ihr Nachleben zu vertiefen. Texte von zeitgenössischen Chronisten vermitteln neben Sachinformationen auch das Fluidum der jeweiligen Zeit. Historische Dokumente belegen, was häufig richtig, manchmal halbrichtig und gelegentlich auch falsch weitererzählt und -geschrieben wird. Wissenschaftliche Texte, die seit dem 19. Jahrhundert zur LEUCOREA geschrieben wurden, liefern verlässliches Wissen auf dem Stand der jeweils aktuellen Forschung. Popularisierte Darstellungen eröffnen niedrigschwellige Zugänge.
Eine inhaltliche Grundsatzentscheidung ergab sich aus dem Charakter der LEUCOREA als Universität der Reformation. Infolgedessen waren Universitäts- und Reformationsgeschichte eng verwoben, gingen gleichwohl nicht ineinander auf. Die Überfülle an Quellen und Forschungsmaterial zur Reformationsgeschichte wird auf der Website vor allem dann einbezogen, wenn sie reformationsgeschichtliche Ereignisse behandeln, die unmittelbar von der Universität Wittenberg ausgingen oder mittelbar die Entwicklung der LEUCOREA betrafen. Quellen- oder Literaturverweise werden hier auf zentrale Werke bzw. Überblicksdarstellungen beschränkt sowie auf bereits bestehende Portale zur Reformationsgeschichte verwiesen.
Die vier Fakultäten als maßgebliche Struktureinheiten der Universität bilden auch zentrale Rubriken der Website. Kurzinformationen und Digitalisate zu ihrer 300jährigen Geschichte wurden mit einer übersichtlichen Systematisierung erfasst. Die verworrene Überlieferungssituation wird in einer eigenen Rubrik ausführlich thematisiert und aufbereitet.
Das Leben geht auch nach einer Universitäts-schließung weiter. Daher wird auf der Website zudem präsentiert, was nach 1817 im Bereich von Wissenschaft und Höherer Bildung in Wittenberg stattgefunden hat und heute, reichlich 200 Jahre später, dort stattfindet.
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